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»Wir sind als Chemiestandort in Deutschland sehr wettbewerbsfähig positioniert.«

https://www.infraleuna.de/Interview mit Dr. Christof Günther, Geschäftsführer der InfraLeuna GmbH über Entwicklungen und Herausforderungen am Standort

Herr Dr. Günther, 2023 war für die deutsche Wirtschaft alles andere als ruhig. Gehen sie 2024 entspannter an?

Nein. Wir hatten 2023 das große Thema Industriestrompreis, weil wir in Deutschland durch die Energiepolitik der Bundesregierung und den Krieg in der Ukraine Energiekosten haben, die im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig sind. Die energieintensive Industrie ist für Deutschland unentbehrlich.

Und wenn diese Industrie abwandert, sind die Schäden, die entstehen, wesentlich größer als der Aufwand, den man treiben muss, um beispielsweise mit einem Industriestrompreis zu unterstützen. Im Ergebnis dieser Diskussion wurden Erleichterungen für kleinere Stromverbraucher beschlossen, nicht aber für die stromintensive Industrie. Deswegen ist die Problemlage nach wie vor da und macht uns Sorgen. Auch weil Standorte im Ausland partizipieren, wenn wir hier weniger produzieren. Der zentrale Punkt für die Wettbewerbsfähigkeit ist die Energie.

 

Haben Sie das Gefühl, dass die politisch Verantwortlichen die Tragweite des Problems nicht verstehen?

Der Industriestrompreis wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz stark unterstützt. Da gibt es kein Verständnisproblem. Es fehlt an umsetzbaren Konzepten. Die Kraftwerks-Strategie der Bundesregierung stammt aus der Zeit vor dem russischen Überfall auf die Ukraine, die Erdgas als Brückentechnologie für den Kohleausstieg vorsieht. Nun ist das Erdgas auch knapp geworden, aber es gibt kein neues Konzept, wie die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann.

Immerhin sind die Energiepreise gegenüber der Anfangszeit des Ukrainekriegs und auch gegenüber 2021, als wir den Konflikt um die Nord-Stream-Pipeline hatten, gefallen. Das liegt aber nicht daran, dass mehr Strom zur Verfügung steht sondern daran, dass weniger Energie nachgefragt wird. Aufgrund der hohen Preise verbraucht die energieintensive Industrie weniger Energie. Sie ist entweder schlecht ausgelastet oder zum Teil ganz abgestellt.

 

Drücken solche Produktions-Einschränkungen auch die Bilanz der InfraLeuna? Was bedeuten sie für den Standort?

Wir als InfraLeuna haben im Jahr 2023 aller Voraussicht nach einen Umsatz, der das Vorjahr übertrifft. Das liegt vor allem daran, dass wir sehr stark auf dem externen Energiemarkt aktiv waren. Wir haben in Zeiten, in denen die Preise hoch waren, sehr viel  Strom in unseren Anlagen erzeugt und über die Märkte verkauft.

 

Sie haben sich stärker als in anderen Jahren als Energieproduzent betätigt?

Genau. Im vergangenen Jahr waren die Preise an den Handelsmärkten krisenbedingt nicht nur hoch, sondern sie haben auch sehr stark geschwankt. Und darauf konnten wir mit unseren flexiblen Anlagen sehr gut reagieren und extern Geschäft machen, das in diesem Umfang sonst nicht möglich gewesen wäre.

 

2023 war nicht nur Energie teuer, sondern auch Erdöl knapp, das am Chemiestandort am Anfang der Wertschöpfungskette steht.

Es ist der Raffinerie gelungen, entsprechende Beschaffungen zu realisieren und die Anlage auch über das Jahr 2023 gut zu betreiben. Dafür muss man den Kollegen einfach erst mal ein Kompliment machen.

Zu den absoluten Hochpreiszeiten hatten wir Anlagenauslastungen von ungefähr 50 Prozent. Also wirklich einen sehr schlechten Wert. Das hat sich im Jahresverlauf verbessert und wir sind aktuell bei ungefähr 70 bis 80 Prozent. Das ist natürlich viel besser als in den ganz schweren Krisenmonaten, aber dennoch nicht befriedigend oder zukunftstauglich. Damit die Unternehmen wirtschaftlich sind und Mittel erwirtschaften können, die dann wiederum in Investitionen am Standort fließen können, brauchen wir eine Auslastung von 90 bis 95 Prozent.

 

Unternehmen drohen damit, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern. Haben Sie Sorge, dass Unternehmen am Standort abwandern?

Nein, in Leuna nicht. Aber es gibt genügend Beispiele, die auch prominent und öffentlich waren im letzten Jahr, wo Chemieproduktion in Deutschland einfach abgestellt wurde. Ich halte solche Ankündigungen keineswegs nur für eine Drohgebärde, um die Politik zum Einlenken zu bringen. An dieser Stelle funktioniert die Welt sehr einfach. Entscheidungen in den Konzernzentralen werden sehr nüchtern getroffen. Da guckt man sich die Anlagen im Vergleich an. Abgestellt werden solche Anlagen, die im Benchmarking Nachteile haben, und das sind tendenziell Anlagen in Deutschland. Das haben wir im vergangenen Jahr gesehen und hier ist meine Sorge, dass sich das auch dieses Jahr fortsetzen wird.

Was den Standort Leuna angeht, haben wir keine derartigen Abstellungen zu befürchten. Darüber bin ich sehr froh. Ich glaube, wir sind als Chemiestandort in Deutschland sehr wettbewerbsfähig positioniert. Wir müssen jeden Tag darum kämpfen, dass es so bleibt.

 

  Dr. Christof Günther, Geschäftsführer der InfraLeuna GmbH vor dem Gemälde »Werksansicht« von G. Drittner aus dem Jahr 1964, Foto: Steffen WilbrandtDr. Christof Günther, Geschäftsführer der InfraLeuna GmbH vor dem Gemälde »Werksansicht« von G. Drittner aus dem Jahr 1964, Foto: Steffen Wilbrandt
Die laufenden Investitionen am Standort sind nicht in Gefahr?

Die großen Investitionen, die begonnen wurden, werden ohne Abstriche fortgeführt. Das ist nicht ganz selbstverständlich, aber das funktioniert gut. Wir haben im vergangenen Jahr – trotz schwieriger Bedingungen – einige große Projekte abschließen können. Dazu gehört beispielsweise das Kraftwerk, das wir in Betrieb genommen haben.

In diesem Jahr werden wir die neuen Kühlwerke in Betrieb nehmen, die Druckluft-Erzeugung, die Deionat-Anlage, eine ganze Anzahl von Schaltanlagen und erweiterte Dampf- und Stromnetze. Auch die anaerobe Abwasserbehandlungsanlage ist ein großes Einzelprojekt für 2024. All das läuft bei uns – allen Widrigkeiten zum Trotz – planmäßig. Wenn diese Anlagen nach und nach in Betrieb gehen, dann wird uns das insgesamt helfen, die Auslastung des Standorts nach oben zu bringen.

 

Was ist mit den Großprojekten UPM, Topas, DLR?

Die Anlage von UPM soll dieses Jahr schrittweise in Betrieb gehen und bei Topas gehen die Bauarbeiten nach unserer Wahrnehmung sehr stringent voran.

Die ganz große Investition, die dieses Jahr starten wird, ist die Forschungs- und Demonstrationsplattform für strombasierte Kraftstoffe des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR). Das haben wir am 16. Oktober 2023 gefeiert. Hinterher wurde das Projekt wegen Kürzungen im Bundeshaushalt in Frage gestellt. Erst jetzt, am 18. Januar, gab es Entwarnung. Für 2024 sind 30 Millionen Euro eingestellt und das Projekt kann starten.

 

Was war passiert?

Die Finanzierung der Technologieplattform sollte aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) erfolgen, der vor allem aus Abgaben von uns bzw. der emmissionsintensiven Industrie befüllt wird und dem zusätzlich das umgewidmete Corona-Sondervermögen zufließen sollte.

Diese Umwidmung ist Mitte November durch das Bundesverfassungsgericht gekippt worden. Damit fehlen dem Fond 60 Milliarden Euro. Er ist aber weiterhin da. Und wenn ich sage, er wird von uns gefüllt, dann meine ich damit, dass wir als Chemiestandort jedes Jahr knapp 250 Millionen Euro einzahlen. Das sind Einnahmen, die der Staat durch den Emissionshandel erzielt. Wir müssen CO2-Zertifikate kaufen, damit die Anlagen hier betrieben werden dürfen.

Die Investition für die geplante Anlage des DLR sollte ursprünglich über zehn Jahre 400 Millionen Euro betragen. Also 40 Millionen Euro pro Jahr verglichen mit den 250 Millionen Euro, die wir einzahlen. Das ist ein gravierendes Ungleichgewicht. Die DLR-Investition ist dazu gedacht, den Transformationsprozess der chemischen Industrie in Richtung Klimaneutralität zu unterstützen. Durch den Emissionshandel werden den Unternehmen Mittel entzogen, die sie sonst verwenden könnten, um diesen Transformationsprozess zu befördern. Das politische Ziel, weswegen man das Geld im KTF einsammelt, nämlich die klimafreundliche Transformation zu unterstützen, findet nicht statt. Jedenfalls für diesen Standort nicht. Und das ist kritikwürdig. So kann die Transformation der chemischen Industrie nicht funktionieren.

Wenn man den Luftverkehr klimaneutral oder zumindest CO2-minimiert gestalten will, dann sind regenerative Kraftstoffe die einzige Option. Dieser Option würde jedoch die Basis entzogen, wenn die notwendige Forschungs- und Demonstrationsanlage einfach der Haushaltsnotlage des Bundes geopfert wird. Um so mehr freuen wir uns, dass der Bundestag in seiner Bereinigungssitzung am 18. Januar 2024 dem Haushalt zugestimmt hat und dort 30 Millionen Euro für das Vorhaben eingestellt sind.


leuna.echo 01.24

Steffen Wilbrandt

 

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